Wurzeln wachsen im Winter

Wurzeln wachsen im Winter

12. März 2025 Aus Von waldreporter

Unterirdisch: Dass Wurzeln bestimmter Bäume im Winter wachsen, ist nicht nur für Forschende eine Überraschung.

Birmensdorf, 12. März 2025. Wenn die Temperaturen sinken, hören Baumstamm und Wurzeln auf zu wachsen. Das war zumindest lange Zeit die Annahme. Eine von der Universität Antwerpen geleitete Studie mit Beteiligung der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf zeigt nun, dass es doch winterliche Aktivität im hölzernen Untergrund gibt.

Die unterirdische Welt der Bäume ist weitgehend unerforscht, da sie für das menschliche Auge meist nicht sichtbar ist. Zudem ist sie schwierig zu untersuchen, ohne einem Baum zu schaden. Obwohl die Wurzeln von großer Bedeutung für Ernährung, Wasseraufnahme und Verankerung der Bäume sind, basiert das wissenschaftliche Verständnis des hölzernen Wurzelwachstums bis jetzt mehrheitlich auf ungeprüften Annahmen.

Die Lehrbuchmeinung ist, dass das Wachstum von Laubbaumwurzeln in gemäßigten Zonen dem saisonalen Wachstum des Baumstammes entspricht. Demnach stellen sowohl Stamm als auch Wurzeln im Herbst ihr Wachstum ein, da es dann zu kalt wird. Im Frühjahr, wenn die Wetterkonditionen wieder günstiger werden, soll das Wurzelwachstum wieder beginnen. Diese Annahme wurde jedoch nie gründlich geprüft. Eine Studie, die Forschende der Universität Antwerpen in Zusammenarbeit mit europäischen Partnern realisierten, stellt diese nun in Frage. Sie beweist, dass die Baumwurzeln in den kälteren Monaten weiterwachsen, auch wenn die Stämme ihr Wachstum bereits eingestellt haben.

Lorène Marchand von der Universität Antwerpen, die als Hauptautorin einen Beitrag im Fachjournal „Nature Ecology and Evolution“ veröffentlicht hat, erklärt: „Wir wollten die Annahme testen, auf der auch alle Forstmodelle beruhen, um Unsicherheiten und Fehler zu vermeiden. Dafür haben wir uns in der Studie auf die Schlüssel-Baumarten der gemäßigten Wälder Westeuropas konzentriert.“

Experiment mit Waldbäumen und jungen Topfbäumen

Die Forschenden sammelten zwei Jahre lang wöchentlich von August bis März Wurzelproben und Mikro-Kerne aus den Stämmen von ausgewachsenen Buchen und Birken in den Wäldern nahe Brasschaat im Norden Belgiens. Außerdem führten sie ein Experiment mit jungen, in Töpfen gepflanzten Buchen, Birken, Eichen und Espen, welche rund einen Meter groß waren, durch. Die Topfbäume wuchsen an drei verschiedenen Standorten; in Brasschaat, in der Nähe von Barcelona (Spanien) sowie in Oslo (Norwegen). Als Ziel galt es herauszufinden ob die verschiedenen Standorte, die sowohl im Zentrum als auch an den Rändern der gemäßigten Zone Europas liegen, zu unterschiedlichen Resultaten führen würden. Insgesamt haben die Forschenden 330 Bäume untersucht und mehr als 1000 Wurzelproben entnommen.

Marchand erklärt die Beobachtungen: „Was wir entdeckten, überraschte uns. Das Holz im Stamm hört im Herbst, wenn die Blätter fallen, auf zu wachsen. Das Holz in den Wurzeln wächst den ganzen Winter über weiter und sogar bis ins nächste Frühjahr hinein, bis sich die ersten Blätter neu entfalten. Die neu entdeckte Tatsache, dass die Wurzeln auch im Winter weiterwachsen, widerlegt somit die Annahme, dass das Wurzelwachstum gleich wie das Stammwachstum funktioniert. Das Holzwachstum in den Wurzeln setzt sich sogar dann noch fort, wenn die Bodentemperatur nahe an den Nullpunkt sinkt, wie es in Norwegen der Fall war. Das Wachstumsverhalten in den Wurzeln hängt also nicht vom Standort ab, da wir bei jungen Bäumen, die im Herbst in Spanien, Belgien und Norwegen beprobt wurden, ähnliche Beobachtungen machten. Dies, obwohl die Temperaturen sehr unterschiedlich waren. Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Herbst- und Winterwachstum in hölzernen Wurzeln, bei Konditionen ohne Bodenfrost, ein gemeinsames Merkmal der Bäume der gemässigten Zonen Westeuropas ist.“

Auswirkungen auf Waldmodelle

Diese Entdeckung verändere nach Ansicht der Forschenden das Verständnis darüber, wie Bäume wachsen und ihre Kohlenstoffreserven verwalten. Außerdem zeigt die Entdeckung, dass holziges Gewebe selbst in gemäßigten Klimazonen kontinuierlich wachsen kann.  Tatsächlich spielen Wälder eine aktive Rolle während des Winters – insbesondere unterirdisch. „Unsere Ergebnisse haben erhebliche Auswirkungen auf Waldmodelle. Sie stützten sich bisher auf veraltete Annahmen über Wurzelwachstum. Das kann zu Fehlern bei der Vorhersage der Kohlenstoffspeicherung und Wachstumsdynamik von Wäldern führen“, so Studienleiter Matteo Campioli (Universität Antwerpen) in seinem Fazit.

 

Der Text ist eine leicht redigierte Medienmitteilung der WSL. Hier das Original.
Der Artikel im Original in Nature Ecology and Evolution.
Die WSL bei Waldfreund.in.