Schon 80 Prozent der Bäume krank

Schon 80 Prozent der Bäume krank

27. März 2023 Aus Von waldreporter

KOMMENTAR – Der Waldzustandsbericht 2022 enthält alarmierende Zahlen – und doch scheint das alles irgendwie nebensächlich.


Der Wald stirbt – aber es gibt Wichtigeres. Jedenfalls ist die Pressemitteilung über den Waldzustandsbericht 2022 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) nicht gerade auf große Resonanz gestoßen. Und das obwohl sie das BMEL am „Tag des Waldes“ (21. März) veröffentlichte. Normalerweise greifen Medien „Bad News“ immer gerne auf, aber vielleicht ist es irgendwann dann doch zu viel des Schlechten.

Und der Bericht verdient den Namen „Bad News“ voll und ganz: Nur noch 20,8 Prozent aller Bäume in deutschen Wald waren im vorigen Jahr ganz gesund. 44,4 Prozent haben schon Krankheitszeichen, das heißt, früher Blatt- oder Nadelverlust. 39,9 Prozent weisen eine „deutliche Kronenverlichtung“ auf, haben also vorzeitig Nadeln oder Blätter verloren.

Fast 80 Prozent der Bäume sind also krank, wobei das BMLE die Formulierung „4 von 5 Bäumen“ verwendet, vielleicht weil es nicht so schlimm klingt. Keine Panik!

Problem: Trockenheit

„Sagt Ihnen das Wort crunchy etwas?“, fragt der Forstmann Martin Janner in seinem gerade erschienenen Buch „Der Wald der Zukunft“. Es knirsche und knacke wenn er durch seinen Wald gehe, weil es einfach zu trocken ist (ein ausführlicher Buchtipp folgt demnächst auf dieser Seite).

Trockenheit ist die Hauptursache für das derzeitige Waldsterben. Wer glaubt, es fehle einfach nur Regen, macht es sich zu einfach. Ich versuche, es in meinen Worten zu erklären. Jede Pflanze, also auch jeder Baum, hat eine bestimmte „Wohlfühlzone“ mit bestimmter Niederschlagsmenge und Temperatur. Und Bäume sind da recht empfindlich. Deswegen wachsen Esskastanien auf der Westseite des Schwarzwalds, nicht aber auf der Ostseite. Durch die Klimakrise ist die Durchschnittstemperatur nun schon soweit gestiegen, dass es für einige unserer wichtigsten Waldbäume zu warm ist. Deswegen stehen die Forstleute gerade so unter Druck, weil sie mit einem „Waldumbau“ beginnen müssen, mit eher wärmeliebenden Arten. Doch das das dauert Jahrzehnte. Wenn es überhaupt gelingt, denn die durchschnittlichen Temperaturen steigen ja weiter.

Der Minister, Cem Özdemir, sagt dazu „Wir müssen weiter entschlossen handeln, damit unsere Wälder in Zukunft der Trockenheit und den höheren Temperaturen trotzen können“.

Entschlossen handeln? Wo denn? Ich merke nichts!

Wo sind die Forsten?

Was ich zunächst einmal fragen will: Wo sind eigentlich die „Forsten“ geblieben? Das Ministerium hieß von 1949 bis 2001 „Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten“ Nach 2001 sind die „Forsten“ verschwunden. Und mit ihm das „entschlossene Handeln“ für den Wald. Wobei man heute wahrscheinlich statt „Forsten“ lieber den Begriff „Wald“ verwenden sollte.

Ach ja, und wo ist eigentlich der „Waldbeauftragte“? Den hatte Özdemirs Vorgängerin Julia Klöckner, sozusagen als obersten Waldlobbyisten eingesetzt. Unter der neuen Regierung ist der Waldbeauftragte sang- und klanglos verschwunden.

Dafür betont Cem Özdemir unermüdlich und auch in dieser Pressemitteilung, die Bundesregierung würde 900 Millionen Euro bereitstellen, um die Waldbesitzenden beim klimagerechten Umbau der Wälder zu unterstützen. Aber Wälder sind offensichtlich nicht ganz so wichtig, wie zum Beispiel der Kohleausstieg, den sich die Regierung 40 Milliarden kosten lässt. Für die „Umweltprämie“, der Volksmund sagte „Abwrackprämie“, waren seinerzeit fünf Milliarden da. Die Verursacher der Schäden bekommen mehr als die Geschädigten. Schon seltsam.

Ökosystem unter Druck

Und wo war das „entschlossene Handeln“ neulich am Kabinettstisch? Setzt der Ressortkollege mit seinen E-Fuels, die richtigen Prioritäten, wenn unser wichtigstes Ökosystem derart unter Druck steht? Wo ist das entschlossene Handeln, die CO2-Emissionen möglichst schnell möglichst kräftig zu senken? Wann wurde am Kabinettstisch darüber diskutiert, was wirklich wichtig ist? Über den Wald zum Beispiel. Der Wald „erfüllt vielfältige Nutz- und Schutzfunktionen, ist Kohlenstoffspeicher und bildet eine unentbehrliche Lebensgrundlage für uns Menschen“ (ebenfalls ein Zitat aus der Pressemitteilung).

Kohlenstoffspeicher? Das Schlimme ist, dass die Fähigkeit eines Baumes Kohlenstoff zu speichern, bereits jetzt massiv Schaden nimmt, wenn dieser Baum schon im August die Blätter verliert.

Zusammengefasst: In der Woche, in der uns 6. Sachstandsbericht des IPCC vor Augen führt, wie dramatisch die Lage ist, in der Woche, in der der Waldzustandsbericht 2022 unsere Lebensgrundlage in Gefahr sieht, diskutiert der Kabinettstisch über – E-Fuels.

Man hätte am Kabinettstisch auch mal die deutsche Forstwirtschaft würdigen können, welche die Branche ist, die sich genau um den Erhalt dieser Lebensgrundlagen kümmert und außerdem mit 1,1 Millionen Arbeitsplätzen eine ziemlich bedeutende ist.

Wenn sich der Zustand des Waldes nicht schnell bessert, steht einiges auf dem Spiel.

 

Die Waldzustandserhebung 2022 ist hier zu finden.
Die Pressemitteilung dazu gibt es hier.

Weitere Berichte über den Waldzustand 2022 bei Waldfreund.in.

Die Zahl zum Kohleausstieg stammt aus dieser Quelle:
https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/kohleausstieg-1664496

1,1 Millionen Arbeitsplätze – diese Zahl gibt der Deutsche Forstwirtschaftsrat (DFWR) an.

Und noch zwei Empfehlungen:

Zum Sachstandsbericht des IPCC gibt es bei Spiegel online einen Gastbeitrag von Niklas Höhne.

Insbesondere Herrn Wissing, seinen Mitstreitern und Sympathisanten empfehle ich, Herrn Dr. Hirschhausen zu konsultieren. Hier geht es zu seiner Sprechstunde.

Foto: Das Bild zeigt ein Waldstück in der Nähe von Rottenburg am Neckar,  aufgenommen im Februar 2022. Das Braune sind nicht etwa Schäden, sondern noch unbelaubte Haselbestände.