
Nichtstun als Strategie
Unbewirtschaftete Wälder, in denen Nichtstun als Strategie gilt, sind anscheinend nicht anfälliger gegenüber Borkenkäfer, Wind und Dürre als Wirtschaftswälder.
Berlin, 12. Mai 2025. Wäldern, die sich natürlich und weitgehend ohne menschlichen Einfluss entwickeln, geht es gut. Jedenfalls gibt es dort nicht mehr Schäden durch „Störungen“, als in „Wirtschaftswäldern“. Als Störungen gelten unter anderem Sturm, Dürre und der Borkenkäfer.
Das will eine aktuelle Studie belegen, die Forschende der Technischen Universität München (TUM) im Wissenschaftsmagazin „Journal of Applied Ecology“ veröffentlicht haben. Der Verein Nationale Naturlandschaften e. V. kommuniziert dies in einer Pressemitteilung.
Die Wissenschaftlerinnen haben deutschlandweit Waldstörungen durch Borkenkäferbefall, Windwurf oder Dürre in aktiv bewirtschafteten und auf stillgelegten Flächen untersucht. Dabei verglichen sie Wirtschaftswälder mit Waldschutzgebieten ähnlicher Artenzusammensetzung, Klimasituation und Geländeform. 314 solcher rund 20 Hektar großen „Paare“ aus bewirtschafteten Wäldern und seit mindestens 35 Jahren unter Schutz gestellten Wäldern gingen in die Studie ein.
Weitere Schutzgebiete sollen kommen
Waldstörungen nehmen im Klimawandel weltweit zu. Sie stellen die Waldbewirtschaftung vielerorts vor große Herausforderungen. Gleichzeitig gilt die Stilllegung von Wäldern und damit das Zulassen einer natürlichen Dynamik ohne Einfluss des Menschen für den Naturschutz als zentraler Ansatz. Er soll dem Verlust der biologischen Vielfalt entgegenwirken. Die auch von Deutschland ratifizierte globale Biodiversitätsrahmenkonvention, unterzeichnet im Jahr 2022 in Montreal, sieht daher die Schaffung weiterer Schutzgebiete vor.
„Die vermutete Zunahme natürlicher Störungen wird jedoch oft als Argument gegen die Schaffung neuer Waldreservate angeführt. Groß angelegte Studien zum Störungsregime in Waldschutzgebieten im Vergleich zu bewirtschafteten Wäldern fehlten jedoch bisher. Aus einem solchen Vergleich können auch wichtige Hinweise zur künftigen Behandlung von Wäldern abgeleitet werden“, so die Erstautorin der Arbeit, Kirsten Krüger von der TUM.
„Unsere zentrale Forschungsfrage lautete: Sind Wälder ohne Bewirtschaftung tatsächlich stärker von Störungen durch Wind, Borkenkäfer und Dürre betroffen als aktiv bewirtschaftete Wälder?“, erläutert Prof. Rupert Seidl. Er ist Forschungsleiter im Nationalpark Berchtesgaden und Leiter des Lehrstuhls für Ökosystemdynamik und Waldmanagement an der TUM. Zusätzlich leitete er die Studie. Seidl fasst zusammen: „Für Deutschland lautet die Antwort eindeutig: Nein.“
Erfolg für Schutzgebietmanagement in Deutschland
Krüger ergänzt: „Auf Basis von Satellitendaten für die Jahre 1986 bis 2020 konnten wir nachweisen, dass nutzungsfreie Waldschutzgebiete durchschnittlich eine um 22 Prozent geringere Störungsrate und eine um 32 Prozent geringere Störungsstärke aufwiesen als vergleichbare, aktiv bewirtschaftete Wälder. Der Unterschied zwischen Waldreservaten und Wirtschaftswäldern war dabei vor allem in Jahren mit extremen Stürmen oder Dürren stark ausgeprägt“.
Aus den Forschungsergebnissen lassen sich nach Ansicht der Forschenden wichtige Erkenntnisse ableiten: „Schutzgebiete können in unsere Waldlandschaften integriert werden, ohne die Gefahr durch Störungen zu erhöhen. Dies bestätigt nicht zuletzt auch den Erfolg des in Deutschland praktizierten Schutzgebietsmanagements. Gleichzeitig können wir gerade nach Störungen zusätzlich zum aktiven Management auch natürliche Prozesse der Reorganisation nutzen, um unser Ziel von strukturierten und diversen Wäldern zu erreichen“, so Seidl.
Die Forschungsergebnisse sind nach Angaben der Beteiligten bundesweit von großer Relevanz für Schutzgebiete wie Nationalparke, Wildnisgebiete, Naturwaldreservate und andere ungenutzte Waldflächen. Auch Peter Südbeck, Vorstandsvorsitzender von Nationalen Naturlandschaften e. V. – dem Dachverband der deutschen Nationalparke, Wildnisgebiete und Biosphärenreservate – begrüßt die Resultate: „Das Zulassen natürlicher Dynamik in Wäldern ist ein zentrales Element zum Erhalt der biologischen Vielfalt in diesen Lebensräumen. Dass der Naturschutzgrundsatz ‚Natur Natur sein lassen‘ nicht zu verstärkten Waldstörungen führt, kann zur Versachlichung vieler Diskussionen rund um unsere von Wald geprägten Großschutzgebieten beitragen.“
Weitere Informationen: Krüger et al. (2025): Setting aside areas for conservation does not increase disturbances in temperate forests. Journal of Applied Ecology (hier).
Der Text ist eine leicht redigierte Pressemitteilung des Vereins Nationale Naturlandschaften e. V.
Mehr über Nationalparke bei Waldfreund.in.
Foto: „Störung“ durch Borkenkäfer im Schutzgebiet / © Rupert Seidl / TUM