Wald ist mehr als Holz
Ein KOMMENTAR zum Streit von Sägewerken und dem Land Baden-Württemberg.
36 Sägewerke in Baden-Württemberg haben das Land auf rund 450 Millionen Euro Schadensersatz verklagt. Das Landgericht Stuttgart wies die Klage jetzt vorerst aus formalen Gründen ab. Mit einer Berufung ist zu rechnen1.
Hintergrund ist folgender: Bis 2015 hatte das Land Baden-Württemberg nicht nur das Holz aus dem eigenen Staatswald vermarktet, sondern auch das der Gemeinden und privaten Waldbesitzer. Das Bundeskartellamt sah darin ein staatliches Monopol und unterband im Juli 2015 diese Praxis2. Die Sägewerke argumentieren nun, sie hätten bis 2015 aufgrund dieses Monopols zu hohe Preise bezahlt und fordern 450 Millionen Euro vom Land Baden-Württemberg zurück.
Die Sache ist eine ziemlich komplexe juristische und poltische Angelegenheit. Das Land Baden-Württemberg hatte zunächst argumentiert, der Holzverkauf stehe gar nicht im Vordergrund, sondern die Pflege des gesamten Waldbestandes zum Wohle der Allgemeinheit. Das sei eine hoheitliche Aufgabe und unterliege folglich nicht dem Kartellrecht. Sinn der Forstwirtschaft sei in erster Linie „Daseinsvorsorge, Nachhaltigkeit und die Erholungsfunktion des Waldes“. Der Verkauf von Holz – ist quasi „Nebensache“. Diese Argumentation hat das Oberlandesgericht Düsseldorf, der Streit spielt sich schon seit Jahren vor verschiedenen Gerichten ab, verworfen3.
Und genau da liegt der Fehler. Heute wissen wir eben noch besser, dass die sozialen Funktionen des Waldes ganz klar an erster Stelle stehen. Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald zählt die „Waldleistungen“ auf: Naturschutz, Trinkwasserschutz, Erholung, Bodenschutz, Hochwasserschutz – und vor allem: Klimaschutz4. Angesichts dramatischer Waldverluste auch in Deutschland, sollte jedem deutlich vor Augen stehen was passiert, wenn der Wald nicht mehr da wäre. Gerade hat der Zoologe Matthias Glaubrecht den globalen Waldverlust als eine der wichtigsten Ursachen des Artensterbens bezeichnet, das den Menschen in existenzielle Gefahr bringe5. Daher ist es vollkommen richtig, dass Waldbesitzende jetzt Geld für „Ökosystemdienstleistungen“ bekommen. Der Holzverkauf ist tatsächlich nur ein Teil des Gesamtsystems, so dass an der Argumentation des Landes, er sei „Nebensache“ einiges dran ist. Überdies tragen die Waldbesitzenden das Risiko durch Dürren und Stürme alleine. Dürren und Stürme sind die Ursache für den Verfall des Holzpreises. Größere Dürren und mehr Stürme sind wiederum eine Folge der Klimakrise – und dafür sind wir alle mehr oder weniger verantwortlich.
Ein weiterer Grund, von einer „Nebensache“ auszugehen: In Baden-Württemberg gibt es 260.000 Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer. Sie teilen sich knapp 500.000 Hektar Privatwald, das sind 36 Prozent der gesamten Waldfläche im Land6. Jeder Waldbesitzende verfügt also über knapp zwei Hektar. Sorry, aber davon kann man nicht leben. Eine Ausnahme sind ganz wenige „Großwaldbesitzer“, für alle anderen ist Holzverkauf ein Zubrot.
Was an der Geschichte auch seltsam ist, zumindest für den juristischen Großlaien: Die 36 Sägewerke lassen sich von einer eigens hierfür ins Leben gerufenen Inkassogesellschaft vertreten. Diese wiederum hat einen US-amerikanischen Prozessfinanzierer im Rücken. An der Konstruktion „Abtretungen plus Prozessfinanzierer“ stören sich viele Kritiker, die darin „Auswüchse einer wildgewordenen US-Klageindustrie“ sehen. Jetzt weite sich das auf Europa aus. Würde den Klägern recht gegeben, ginge das zu Lasten der Steuerzahler7. Außerdem könnte der Laie ja fragen, warum die zentrale Holzvermarktung verboten sein soll, ein „Klagekartell“ jedoch nicht. Soll doch jedes einzelne dieser Sägewerke das Land verklagen, wenn es meint, einen Schaden erlitten zu haben. Und da liegt das Problem: Die Sägewerke haben Schwierigkeiten überhaupt einen Schaden nachzuweisen. Es entspräche ja auch gar keiner wirtschaftlichen Logik, würde das Land Holz zu überhöhten Preisen loswerden wollen. Alle Waldbesitzenden hierzulande brauchen Abnehmer für ihr Holz – und das sind nun mal hauptsächlich die Sägewerke. 36 Prozesse mit 36 „Kleinklägern“ wären allerdings für einen US-Klagekonzern eher weniger interessant.
Abschließend darf man zudem das Große und Ganze nicht aus dem Blick verlieren. Auf Seiten der Sägewerke hat es in den vergangenen Jahren einen Konzentrationsprozess gegeben. Nur wenige große Holzkonzerne sind dabei übrig geblieben. Ihnen stehen nach wie vor viele, viele Eigentümer mit kleinen Waldflächen gegenüber. Ist doch klar, wo die Marktmacht sitzt. Ist doch klar, dass weniger Holzabnehmerinnen den kleinen die Preise diktieren können.
Schauen wir uns an, wie es in der Landwirtschaft gelaufen ist. Nach der beispiellosen Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel blieben nur eine Handvoll Konzerne übrig, deren Eigentümer Milliardäre sind. Für die Bäuerinnen und Bauern ging das schlecht aus. Deren Anteil am Ladenpreis (Durchschnitt von Fleisch, Brot, Milch und Kartoffeln) ist zwischen 1970 und 2020 von 46 auf 21 Prozent zurück gegangen8.
Daher ich kann nichts dabei finden, wenn das Land den vielen Waldbesitzerinnen und Waldbesitzern beim Vermarkten unter die Arme greift. Es wäre schön, wenn das das Gericht ebenso sähe.
Das Foto von dem Rundholzpolter entstand bei einer Wanderung auf dem „Rundweg Hochburg“ im Rammert9, einem bewaldeten Höhenzug, der sich über die Landkreise Tübingen und Zollernalb in Baden-Württemberg erstreckt. Ausgangspunkt ist Rangendingen.
Auf dieser Wanderung habe ich das Langholzfuhrwerk entdeckt, das am Wegrand dem Verfall entgegensieht. Genau so ein Fuhrwerk hatte mein Großvater.
1 swr.de, 20.01.2022: Rundholzkartell
https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/rundholzkartell-baden-wuerttemberg-saegewerke-landgericht-klage-100.html
2 bundeskartellamt.de, 15.07.2015: Rundholzvermarktung in Baden-Württemberg
https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/Pressemitteilungen/2015/15_07_2015_Rundholz_Untersagung.html
3 juve.de, 1.07.2021: Sägewerke verklagen den Staat…
https://www.juve.de/verfahren/prozessauftakt-im-holzkartell-saegewerke-verklagen-den-staat-auf-800-millionen-euro/
4 Schutzgemeinschaft Deutscher Wald: Waldleistungen
https://www.sdw.de/ueber-den-wald/waldwissen/waldleistungen/
5 tagesspiegel.de, 16.01.2022: Artenschutz als ignoriertes Thema
https://www.tagesspiegel.de/politik/artenschutz-als-ignoriertes-thema-das-biologische-analphabetentum-der-politik-bringt-uns-noch-alle-um/27975842.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
6 MLR: Waldland Baden-Württemberg
https://mlr.baden-wuerttemberg.de/de/unsere-themen/wald-und-naturerlebnis/landesforstverwaltung/waldland-baden-wuerttemberg/
7 juve.de – siehe unter Punkt 3
8 Südwest Presse, 22.01.2022: Fluch der niedrigen Preise
9 tourismus-bw.de: Rundweg Hochburg in Rangendingen
https://www.tourismus-bw.de/touren/rundweg-hochburg-in-rangendingen-dc85adbb91