Durchs wilde Herz der Karpaten

Durchs wilde Herz der Karpaten

23. Mai 2024 Aus Von waldreporter

BUCHTIPP: Der Förster Gerald Klamer erkundet zu Fuß die Karpaten: die Slowakei, Polen, Rumänien – ins Herz der letzten großen Wälder Osteuropas.

Rottenburg am Neckar, 21. Mai 2024. Wenn ein Vorwort den Zweck hat, in das Buch hineinzurutschen, dann ist das hier schon mal gut gelungen. Spannend erzählt der Autor, wie er in einer abgelegenen Urwaldschlucht abrutscht und sich gerade so noch befreien kann.

Und damit befreie ich mich gleich zu Beginn von der Pflicht, ein Buch kritisch zu lesen und zu notieren was nicht gefällt/was gefällt. Was nicht gefällt, sind die etwas ausufernden Beschreibungen, wie er mit dem Schnee kämpft. Nicht nur im Vorwort stapft er mühsam, rutscht hier, rutscht dort, Schneeschuhe, Eis und bitterkalte Nächte. Es nervt ein wenig weil – er hätte ja einfach später losgehen können. Vielleicht Mitte Mai bis Mitte August? Ein anderer Kritikpunkt gilt eher dem Verlag, bzw. dem Lektor: Es gibt Wörter, die tief unten in der Passivwortschatzkiste am besten aufgehobem sind, als da wären: „wunderschön“, „zwingend“, „lecker“, „köstlich“, „schmackhaft“ und vor allem das gruselige „unabdingbar“.

Ansonsten ist es ein gutes Buch. Eine gelungene Mischung aus Waldbuch mit Erläuterung ökologischer Zusammenhänge und Reisebericht, plus ein wenig Abenteuer und Mahnung, die letzten Wälder zu erhalten und die Ursache der Klimakrise endlich entschlossen anzugehen.

Karten geben einen Überblick

Wieder* ist Klamer unterwegs. Zu Fuß mit Rucksack und einer Art Zelt. Vom 27. März bis 6. Juli (vermutlich 2022) erkundete er die letzten großen Urwälder Osteuropas, die in den Karpaten zu finden sind. Die Karpaten ziehen sich gleich einer stark gebogenen Schlussklammer, so „)“, von der Slowakei und Polen im Norden, an den Rand der Ukraine im Osten und in Rumänien im Süden ausklingend. Es sind viele Etappen, die nicht zusammenhängen. Die „Zwischenräume“ überbrückt er per Anhalter und mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Das Buch hat neben einer Fotostrecke mit seinen Eindrücken auch einen Kartenteil, der es der Leserin und dem Leser einfacher machen soll, den Wanderungen zu folgen.

Die Formulierung „in den letzten großen Urwäldern“ ist mit Bedacht gewählt. Denn die Wälder stehen unter dem starken Druck der Forstwirtschaft. Wobei genau genommen Forstwirtschaft und Holzindustrie nur der verlängerte Arm der Wirtschaft an sich sind. Ganz genau genommen stehen sie unter dem Druck der Wirtschaftssubjekte – also von uns allen. Von uns allen, deren Konsum im Allgemeinen viel zu hoch ist, deren Holzkonsum im Besonderen viel zu hoch ist. „Wann hört die Urwaldzerstörung endlich auf?“ fragt der Autor (S. 243).

Das auszusprechen und mit dieser Begründung etwas dagegen zu unternehmen, ist mancherorts nicht ungefährlich. Das erlebt und beschreibt auch Gerald Klamer. Holzmafia und Korruption sind keine Hirngespinste und keine Randerscheinungen.

Naturerbe europäische Buchenwälder

Aber das Wichtigste, um positiv zu bleiben, sind die Beschreibungen der Wälder – der großen Buchenwälder. „Um so erstaunlicher, dass hier so ein großer ungestörter Waldblock erhalten geblieben ist. Erst 1973 wurde Izvoarele Nerei als Waldreservat unter gesetzlichen Schutz gestellt, 2000 wurde das Gebiet dann in den neu ausgewiesenen Nationalpark Semenic-Cheile Carasului integriert und 2017 mit sieben anderen rumänischen Waldgebieten in das UNESCO-Weltnaturerbe der Buchenwälder aufgenommen. … für mich ohne Zweifel der schönste Buchenurwald, den ich je gesehen habe. … extrem abwechslungsreich, mit Bäumen jeden Alters und jeder Größe in inniger Mischung vertreten.“ (S. 235 f.) „Viele der Bäume sind in ihrer Achse verdreht und weisen dicke, stabilisierende Wülste auf. Abenteuerliche, skurrile Baumgestalten, die man in dieser Vielfalt nur im Urwald findet!“ (S. 240) Man merke sich das „vielleicht schönste Urwaldtal Rumäniens“ und „die ländliche Idylle, die uns empfängt, als wir das Dorf Greblesti erreichen, …“ (S. 160/161).

Es empfiehlt sich, so man Besitzer des Klamer-Buches ist, die schönsten Orte als Reisetipp anzustreichen.

Nicht nur diese Urwälder sind eine Reise wert. Klamer zitiert einen seiner Begleiter, mit dem er ein Stück gewandert ist, mit den Worten: „Für mich ist Rumänien das Land mit der höchsten Lebensqualität Europas und dazu gehört auch, dass der Bär den Mais aus dem Garten holt!“ (S. 121)

Ja, das ist der Weg, den Gerald Klamer hier eigentlich aufzeigt. Die Wälder nicht abholzen, sondern in ihrer ganzen Schönheit, ihrer schönen Ganzheit nutzen und behutsam touristisch zu erschließen. Das ist es wert!

 

Gerald Klamer: „Durchs wilde Herz der Karpaten“, Piper Verlag GmbH, München, 2024

Der Verlag hat Waldfreund.in ein Rezensionsexemplar kostenlos zur Verfügung gestellt.
(Editorische Notiz: Es ist nicht ganz gelungen, die Schreibweise der rumänischen Ortsnamen korrekt wiederzugeben. Sorry, dafür!)

* Sein erstes Buch hieß „Der Waldwanderer“. Hier der Buchtipp bei Waldfreund.in.

Zum Welterbe Alte Buchenwälder gibt es eine Webseite, nämlich hier.