Stories

Kleines Dorf – große Politik

Eine Million Hektaren Wald und eine Firma aus Dubai:
Im kleinen afrikanischen Land Liberia spielt sich die grosse Klimapolitik ab

Internationale Firmen wollen in Afrika riesige Waldflächen pachten, um CO2-Zertifikate zu generieren. In Liberia frohlockt die Regierung. Doch die Dorfbewohner verstehen nicht, was vor sich geht.

Dazu der Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung
von Samuel Misteli (Text), Carmen Abd Ali (Bilder).
River Cess County und Monrovia,

Foto: © Matthias Rittgerott / Rettet den Regenwald e. V.
Waldfreund.in hat in diesem Zusammenhang über eine entsprechende
Petition von Rettet den Regenwald e. V. berichtet.
Hier geht es zum Beitrag.

 

So lasst uns denn ein Kiribäumchen pflanzen…

 

Statt eines Apfelbäumchens pflanzt das in Bonn ansässige Unternehmen We-Grow GmbH tausende von Kiribäumchen. Die rasant wachsenden Bäume sollen als Holzrohstoff und als Geldanlage dienen (Text: Daniel Zabota)

Die Welt geht bald unter – davon war Hoimar von Ditfurth überzeugt. Der Wissenschaftsjournalist und Pessimist, hat daher ein Buch mit dem Titel „So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen – es ist soweit“ geschrieben, 1985 ein Bestseller. Damals haben Atomrüstung, Umweltzerstörung und Bevölkerungsexplosion viele Menschen in Angst und Schrecken versetzt, auch von Ditfurth. Er bezieht sich mit dem Titel auf einen Ausspruch Martin Luthers: „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen.“

Statt eines Apfelbaums pflanzt das in Bonn ansässige Unternehmen We-Grow GmbH tausende von Kiribäumchen. Das hat nicht direkt mit dem Weltuntergang zu tun, aber doch mit dem Rohstoffverbrauch und der Rohstoffknappheit. Tatsächlich ist Holz einer der gefragtesten Rohstoffe – und der Kiribaum einer der leistungsfähigsten Lieferanten.

Denn der Kiri gilt als der am schnellsten wachsende Baum der Welt. Das Wettwachsen mit den hiesigen schnellwüchsigen Pappeln und Weiden hat er gewonnen, Bambus ist nicht im Rennen, weil diese Pflanze zwar auch schnell wächst aber biologisch zu den Gräsern zählt. Nach zehn bis zwölf Jahren hat der Baum einen Stammdurchmesser von 40 Zentimetern, so genanntes Industriemaß, und ist erntereif. Eine deutsche Eiche braucht hierfür zehnmal so lange.

Diese Wachstumskraft ist dem Agraringenieur Peter Diessenbacher schon als Student aufgefallen. Er begann zu experimentieren, zu kreuzen, auszuwählen, zu züchten. So ist eine Sorte entstanden, die Diessenbacher „Nordmax21“, genannt und schützen lassen hat. Sie gilt als besonders an deutsche Klimabedingungen angepasst.

Schnell wachsendes Holz, große Nachfrage: Daraus hat der Agraringenieur zusammen mit der Volkswirtin Allin Beatrice Gasparian eine Geschäftsidee entwickelt und 2009 ein Unternehmen gegründet: We-Grow. Es befasst sich mit der Aufzucht von Kiribäumen der Sorte Nordmax21 mit allem was dazu gehört: Flächen vorbereiten, Pflänzchen züchten, Pflanzen, Pflegen, Ernten. Ernte? Dafür ist es noch zu früh. Die erste Ernte ist 2019 geplant.

 

Mehr als 100.000 Bäume auf etwa 30 Plantagen in Deutschland und Spanien umfasst der Bestand des Unternehmens heute. Weitere interessante Standorte sind in der Prüfung, auch in Asien, wo das Holz traditionell Verwendung findet.
Wir haben eine Plantage in der Nähe von Mannheim besucht. Besonders auffallend sind die Blätter dieses Baumes, groß wie Rhabarber oder Pestwurz. Es heißt, die Riesenblätter fangen so viel Sonnenlicht ein, welches das enorme Wachstum ermöglicht. Im Frühjahr trägt Kiri blaue Blüten, im Herbst wirft Kiri seine Blätter ab, so dass sich mancher Baum, durch die Pflege astrein gehalten, wie eine gigantische Bohnenstange in den Himmel reckt.

Kiri ist die japanische Bezeichnung dieses in Asien beheimateten Baumes. Biologisch gesehen gehört der Baum zu den Paulownia-Arten. Die in Asien traditionell kultivierte Art ist der Blauglockenbaum, Paulownia tomentosa, es gibt aber auch weitere, wild wachsende Arten. Unter dem Namen „Kiribaum“ vermarktet ihn We-Grow.

Ein Waldbaum ist Kiri weder in Asien noch in Europa, auch wenn man sich in den Plantagen wie im Kiriwald fühlt. Allin Beatrice Gasparian berichtet, es habe zwar Anfragen von Förstern gegeben, die wegen des Klimawandels auch mit neuen Arten experimentieren, im Wald geht es Kiri aber zu wild zu. Er hat zu wenig „Konkurrenzkraft“ und ist daher auf Pflege angewiesen. Andererseits ist auf der Webseite garten-treffpunkt.de nachzulesen, der Baum sei ein aggressiver Neophyt, der wegen seiner Widerstandsfähigkeit andere Arten verdrängt. Wie dem auch sei, richtig wohl fühlt sich Kiri als Plantagenbaum zur Holzgewinnung.

In der Bonner Unternehmenszentrale von We-Grow gibt es ein paar schöne Beispiele, was aus dem Holz, in Asien ein weit verbreiteter Werkstoff, alles werden kann. Wer ein Stück Palownienholz, das ist einer der Handelsnamen, in die Hand nimmt, denkt sich, hoppla, das wiegt ja nichts. „Nichts“ heißt: Ein Festmeter (fm) der Paulownie wiegt rund 330 kg, ein Festmeter Eiche hingegen rund 700 kg, das bei Modellbauern beliebte Balsaholz, es ist das leichteste Holz, rund 180 kg/fm, wobei grundsätzlich zu berücksichtigen ist, dass das Gewicht von Hölzern variiert. Auch das Surfbrett, das hinter Frau Gasparians Schreibtisch steht, lässt sich locker mit einer Hand halten, Es ist etwa zwei Meter lang und aus 1,5 cm starkem Holz. Wasser nimmt das Holz kaum auf, es eignet sich daher gut für Wassersportgeräte, Paddel etc. Meistens jedoch bauen die Schreiner in Asien Möbel aus diesem harten und leicht zu bearbeitendem Holz, ferner Musikinstrumente, Spielzeug etc.

Ebensowenig wie Wasser mag Kiri Feuer. Es entzündet sich erst bei 400 Grad, das gilt als schwer entflammbar, gewöhnlich sind es bei Holz 280 Grad. Brennt es dann doch, hat es einen hohen, mit der Eiche vergleichbaren Brennwert.
Auch für Holzwerkstoffe ist Kiri geeignet, entsprechende Proben stehen bei We-Grow auf dem Tisch. Eine gewöhnliche Spanplatte wiegt etwa 650 Kilogramm, eine Kirispanplatte wiegt 350 Kilogramm pro Kubikmeter.

We-Grow setzt ganz darauf, für dieses feine Holz in Zukunft gute Preise zu erzielen. Der Holzverkauf ist der wichtigste Pfeiler in der Geschäftsstrategie des Unternehmens. Zwischen 75 und 200 Euro pro Festmeter will man, wenn es so weit ist, erlösen. Da die Bäume in der Plantage wachsen, ist am Ende jeder Stamm mit sechs bis acht Meter Länge geeignet. Weitere Stufen der Wertschöpfung sind der Verkauf von schwächerem Holz für Werkstoffe sowie von Holz, das z. B. beim Entasten anfällt und zum Beispiel für Pellets geeignet wäre.
Da die Ernte erst 2019 beginnen soll, die Investitionen aber jetzt anfallen, hat das Unternehmen Fonds aufgelegt, die als Geldanlage dienen. Es sind so genannte geschlossene Fonds von einer bestimmten Höhe. Wenn die Anteile weg sind, sind sie weg. Die ersten Fonds, „KiriFonds I“ und „KiriFonds II“ mit einem Volumen von 5 bzw. 5,3 Mio. Euro sind bereits geschlossen. Derzeit läuft „KiriFonds III“ mit einem Eigenkapitalvolumen von voraussichtlich 7,5 Mio. Euro. Die Laufzeit soll zehn Jahre betragen. Das Unternehmen verspricht einen prognostizierten Geldmittelrückfluss von 215,1 Prozent. Das heißt, vereinfacht formuliert, wer 5000 Euro anlegt, soll nach zehn Jahren rund 10.000 Euro zurückbekommen.

Mit dem eingesammelten Geld pflanzt We-Grow Kiribäumchen. Das ist sozusagen die moderne Alternative für den Apfelbaum, den jeder, der Optimist ist und an die Zukunft glaubt, bei der Geburt eines Kindes pflanzen soll. Das Unternehmen bewirbt seinen Fonds mit dem Slogan „Investieren Sie in 100 Kiribäume für Ihre Kinder und Enkel.“ Vielleicht tragen wir mit solchen „grünen“ Investments dazu bei, dass der Weltuntergang doch nicht stattfindet.

Der Text erschien in Silva – das Waldmagazin 1/2015 (vergriffen).

Fotos: WeGrow AG

 

 

Der Fast-Nationalpark

Hier stehen die ältesten Buchen Deutschlands, über 300 Jahre alt und streng geschützt.
Der Steigerwald ist ein ganz wunderbarer Wald. Warum nicht der ganze Wald
unter Schutz steht und ein Nationalpark wird, ist ein Rätsel.
Verdient hätte er es.

Eine Tour mit Luigi Scharffenberg durch den Steigerwald.
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Tage später noch ist der Kuckuck im Ohr. Als ob er alle anderen Töne hinausgeworfen hätte, um Platz für sich selbst zu schaffen. Der Vogel liebt lichte Misch- und Bruchwälder. Im Steigerwald fühlt er sich daher besonders wohl.
Der Mensch kann das, im Gegensatz zum Kuckuck, nicht immer so richtig einschätzen. Für ihn ist Wald, historisch bedingt, entweder Wildnis, vor der man sich schützen muss, oder Wirtschaftswald.

Der Wirtschaftswald ist eher von der Fichte geprägt, der naturnahe, wildnisähnliche Wald von der Buche. Buchenurwälder prägten einst die Landschaften Mitteleuropas. Doch davon sind noch 0,25 Prozent übrig, das sind die restlichen Naturwaldreservate in Deutschland mit über 160jährigen Buchen. Ein viertel Prozent. Und das auch noch mit abnehmender Tendenz. Daher haben sich einige Menschen aufmacht, diesen Rest zu retten.

Und so fand der Steigerwald Eingang in ein kleines Buch namens „Gerettete Landschaften Bayerns“. Der Bund Naturschutz in Bayern hat hier zusammen mit dem Bergverlag Rother 40 Wanderungen zu bayerischen Naturschutzerfolgen zusammengestellt. Lauter Wanderungen in Gegenden, die beinahe einer übertriebenen und maßlosen wirtschaftlichen Aktivität zum Opfer gefallen wären, meistens dem Straßenbau.

Eigentlich ist es voreilig, den Steigerwald hier schon mit anzuführen. Denn mit „gerettet“ meint der Bund Naturschutz, hier einen Nationalpark einzurichten, was aber noch lange nicht der Fall ist, und was nach derzeitigem Stand der Dinge auch noch dauern kann. Dabei wäre der projektierte Nationalpark mit seinen 11.000 Hektar nicht unbedingt riesig, beispielsweise im Vergleich mit dem Nationalpark Bayerischer Wald mit 24.000 Hektar oder gar dessen tschechischer Fortsetzung Šumava mit 68.000 Hektar. Ja, wo liegt überhaupt dieses „Wäldchen“? Schon das Wissen darüber ist nicht allgemein verbreitet (es liegt in Bayern, etwa 30 Kilometer östlich von Würzburg).

Auf jeden Fall prägt der Kampf zwischen Befürwortern und Gegnern eines Nationalparks auch hier die Landschaft. Mannshohe Plakatwände mit den Parolen des jeweiligen Lagers begrüßen den Besucher und arglosen Wanderer. „Gott schütze und erhalt unseren schönen Naturpark Steigerwald vor den Nationalpark-Ideologen“ giftet die eine Seite, während die andere mit Sprüchen wie „Nationalpark und Welterbe – Zukunft für die Region“ wirbt. Wir wollen versuchen, uns aus dem Streit herauszuhalten und in den Wald hineinzubegeben.

Der Bund Naturschutz hat einen kleinen „Naturwanderführer“ mit neun Tourenvorschlägen herausgegeben. Wir haben uns für Tour 6 entschieden: „Zu den Riesenbuchen in der berühmten Waldabteilung Kleinengelein“. Hier findet der Wanderer über 300 Jahre alte Buchen, ein Glück, das ihm, wenn überhaupt, in Deutschland nur selten zuteil wird. Dass diese Bäume hier solange leben, ist dem Hochstift Würzburg, also der Kirche, zu verdanken, in dessen Besitz sich große Teile des Steigerwaldes befanden. Nach jahrhundertelangem Raubbau am Wald blieb wenig übrig, so dass das Hochstift 1721 eine Waldordnung erließ. Kurz zuvor, 1713, hatte Hans Carl von Carlowitz erstmals das Prinzip der Nachhaltigkeit schriftlich formuliert. Sicher kein Zufall und die Grundlage für den heute uralten Buchenbestand. Die Waldordnung schrieb vor, Hauptbäume innerhalb einer Schlagfläche zu belassen. Viele davon haben heute überlebt und sind teilweise fast sogar fast 400 Jahre alt geworden, für eine Buche ein Greisenalter. Es lohnt sich, die Hauptwege zu verlassen und den gekennzeichneten Pfaden zu den alten Baumriesen zu folgen. Etwas abseits des Weges steht auch ein weiterer imposanter Baum: die dickste Esche des Steigerwaldes. Solche Eschenexemplare findet man in Deutschland nur noch selten, ja, überhaupt einen Buchen-Eschen-Mischwald (wie wichtig die Esche für den Menschen ist, lesen Sie auf den Seiten 64 bis 67). Für das Auge ist auf dieser Tour enorm viel geboten.
Und im Ohr der Kuckuck.
Und in der Nase: Waldmeister. Zumindest im Frühjahr verbreiten ganze Matten dieses Krauts einen feinen, süßlichen Duft.

Die Tour

Es ist ein richtiges Abenteuer. Die vom Bund Naturschutz in Bayern e. V. angebotene Wanderung (hier Tour 6) hat keine eigene Wegmarkierung. Sie ist nicht zu vergleichen mit einem Premiumwanderweg, der sich gerade durch die sehr deutliche Beschilderung auszeichnen soll. Zweierlei empfiehlt sich: Eine möglichst detaillierte Karte auszudrucken, z. B. bei wanderservice-schwarzwald.de, desgleichen die Tourenbeschreibung. Wenn möglich die Tourenbeschreibung auf die Karte übertragen und natürlich mitnehmen. Dennoch ist unterwegs etwas Spürsinn gefragt. So heißt es beispielsweise: „Dann biegen wir auf einen schmalen Fußpfad halblinks ab und laufen auf das Holzschild mit den drei Wellenlinien an einer dicken Fichte in 20 Metern Entfernung zu.“ Zum Glück haben wir das Schild gefunden, den Fußpfad hat sich wohl die Natur zurückgeholt.
Die Tour 6 ist rund neun Kilometer lang und in drei bis vier Stunden zu schaffen. Vorausgesetzt, man findet den Weg.

Der Beitrag erschien in Silva – das Waldmagazin 2/2015 (vergriffen!).

 

 

Ich nehme ein Waldbad

Heute wage ich mich an einen japanischen Nationalsport, nicht Sumo oder Karate –
was ganz Friedliches: Ich nehme ein Waldbad.

 

Das hat nichts mit Fichtennadelöl im Wannenwasser zu tun, soll aber mindestens so entspannend, und vor allem sehr gesund sein: „Shinrin-yoku“ bezeichnet wortwörtlich die Kunst, im Wald zu baden, seine Atmosphäre wie eine Anwendung auf sich wirken zu lassen. Während man mit hochgefahrenen Sinnen zwischen den Bäumen herumspaziert. Seit der Begriff 1982 von Japans Forstbehörden erfunden wurde, hat sich „Shinrin-yoku“ als Volkssport etabliert.

Machen wir hier doch schon seit Urzeiten, denken Sie jetzt sicher. Dabei hatte der Wald bei uns noch im 18. Jahrhundert ein ausgesprochen schlechtes Image. Er wurde zwar wirtschaftlich genutzt, galt aber nicht als Ort, an dem man sich gerne aufhält. Man glaubte an die Miasma-Theorie: Waldluft sei ungesund, weil neblig, dick und feucht. Erst mit den Romantikern wurde der Wald zum Sehnsuchtsort, der nicht nur die Seele heilt. Seitdem gilt die Liebe der Deutschen zu ihren Wäldern zwar als ungebrochen. Aber mal ehrlich, wann waren Sie zuletzt spazieren?

Mein Inbegriff von Wald ist der Wald meiner Kindheit, der Forstenrieder Park im Süden Münchens. Als ich über den Gitterrost laufe, der die Wildschweine im Forst hält, ist diese Stimmung sofort wieder da; die goldene Euphorie eines Nachmittags, der aus der Zeit gefallen ist. Kaulquappensammeln in der Achterlake, Kastanien und Bucheckern an der Allee, Steineklopfen in der Kiesgrube, von Baumstümpfen ins Moos hüpfen. Allerdings will ich heute nicht in Nostalgie ertrinken, sondern in Waldluft schwimmen, Atemzug für Atemzug, oder vielmehr: einen gemütlichen Schritt nach dem anderen.

Das fällt mir schwer, denn eigentlich bin ich Läuferin. Tatsächlich aber wird beim Gehen auf der gleichen Distanz fast soviel Energie umgesetzt wie beim Joggen, nur eben langsamer. Und man wird nicht vom eigenen Keuchen von seiner Umwelt abgelenkt.
Zuerst spaziere ich noch auf dem Forstweg, Waldbad light: Artig aufgereihte Fichten am Wegrand. Um ihre Wurzeln wabert Nebel, der in der Frühjahrssonne milchig leuchtet. Asphalt unter den Füßen, ab und an ein Radler. Ich ertappe mich schon wieder dabei, mir einen Plan zurechtzulegen. Vielleicht zum Gelben Haus zu gehen, einer historischen Jagdhütte. Das wäre meine alte Laufstrecke. Aber ich zwinge mich, es heute mit dem Großmeister des Spaziergangs zu halten: „Ich ging im Walde, so vor mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn“, dichtete Goethe.

Das erste was dem Stadtmenschen auffällt, ist natürlich die Stille. Schon hundert Meter vom Waldrand soll der Lärmpegel um acht Dezibel sinken. Selbst im gemütlichen München hat es im Schnitt um die 50 Dezibel, die an den Nerven zerren, zu Herz- und Kreislauferkrankungen beitragen.

Aber der Wald bietet nicht nur psychisch eine Verschnaufpause: Zwischen 30.000 und 40.000 Kubikmeter Luft verarbeitet ein Baum in unseren Breitengraden täglich – und filtert sie dabei von Schadstoffen: Weit über meinem Kopf raschelt ein gigantisches grünes Sieb, indem nicht nur Staub, sondern auch Pollen, Bakterien und Pilze hängenbleiben.

Das zweite ist der würzige Duft: Ein Waldspaziergang ist eine Aromatherapie. Harz, frisch geschlagenes Holz. Der angenehm muffige Geruch, der aus dem Boden steigt und an Sommerregen erinnert. Und dann sind da noch die ätherischen Öle, verströmt von Nadeln und Blättern.

Wissenschaftler wissen, dass in diesem Duftcocktail viel mehr steckt: Phytonzide. Chemische Stoffe, die von Pflanzen abgesondert werden, und sie mit ihrem antibiotischen Effekt gegen Pilzbefall und Bakterien schützen. Der japanische Forscher Quing Li glaubt nachweisen zu können, dass das Einatmen dieser Stoffe auch unserem Körper dient. Die Geheimwaffe der Bäume soll Stresshormone reduzieren und das Immunsystem dabei unterstützen, Tumorzellen zu zerstören.

Bei der ersten Gelegenheit biege ich in einen schmalen Pfad ab, und habe endlich weichen Waldboden unter mir. Balsam für Knie und Wirbelsäule. Jeder Schritt wird sanft abgefedert. Kein Wunder, dass auch meine Stimmung in Schwung gerät. Zum guten Gefühl mich aus der Reizflut des Alltags gerettet zu haben, kommt noch etwas anderes: Eine simple Zufriedenheit. Ich bin bei mir.

Gucke nicht mehr auf mein Smartphone, um zu checken, wo ich bin, oder was die anderen so machen, sondern gluckse ungeniert vor mich hin. Da ist schließlich nur dieses Flechtwerk aus Pilzfäden, lebendigem Holz und Moos um mich herum. Dieser geduldige Organismus, der beständig leise ächzt und stöhnt, und sich nur ab und an von einem Trällern oder Klopfen unterbrechen lässt.

Der Wald ist jetzt mein Psychotop. So nennen Wissenschaftler das Phänomen, wenn sich zwischen Mensch und Natur ein unsichtbares Netz spinnt. Einen Ort, an dem sich nicht nur Biologisches, sondern auch Seelisches ereignet. Und das ist halb so esoterisch, wie es klingt.
Denn auf dieses Moment setzt die Naturerlebnispädagogik: Die Erfahrung, wenn das Selbst und die Welt, Innen und Außen plötzlich korrespondieren, wir uns als Teil des großen Ganzen sehen – und nicht wie in der westlichen Denkweise üblich – als Gegenpol zur Natur.
Am besten funktioniert das, wenn wir diese als schön empfinden, glaubt der Natursoziologe Rainer Brämer. Und was unserer Ästhetik entspricht, scheint wiederum von der Evolution mitgegeben. „Wenn wir an Natur denken, dann zuerst an einen Baum. Das ist der große Bruder zum Anlehnen“, sagt  Brämer. Ein üppig grüner Wald signalisiert: Hier gibt es Wasser, Nahrung, Schutz vor Sonne und Regen. Ist das Gehölz allerdings zu dicht und unwegsam, nehmen wir es als bedrohlich war. Wir schätzen Übersichtlichkeit: „Wo sich unsere Vorfahren sicher wähnten, fühlen auch wir uns wohl“, sagt Brämer.

Ich ertappe mich dabei, wie ich meine Hände über die Borke der Stämme streifen lasse, rupfe eine Handvoll Moos und stecke meine Nase rein. Auf dem feuchten Boden flimmert das Schattenspiel der Zweige von Buchen und Eichen, die hin und wieder aus den Reihen ihrer steifen, nadligen Brüder tanzen. Ein bisschen fühlt sich das Spazieren nun tatsächlich an wie ein Bad im See. Ein Wechselbad mit überraschenden Strömungen. Einen Schritt lang Sonnenschein im Gesicht, mit dem Nächsten tauche ich wieder in das spezielle Innenklima des Waldes ein. Hohe Verdunstung, abgeschirmt vom Blätterdach, kaum Wind und gedämpftes Licht. Auch diese Wechsel der Umweltreize sollen therapeutisch wirksam sein.

„Natur bietet Vielfalt, ohne uns zu ermüden, und Intensität, ohne uns zu überfordern“, sagt der Biologe und Humanethologe Norbert Jung. „Sie offenbart ständig Neues und bleibt im Wandel doch konstant.“ Ganz anders als unsere selbst geschaffene Welt, die sich immer schneller dreht. „Wir brauchen Natur, um Halt und Sinn im Leben zu finden. Natur bleibt, wenn Kulturen verschwinden.“
Vielleicht ein Grund dafür, dass scheinbar schon ihr Anblick eine heilende Wirkung hat: US-Mediziner der Universität von Delaware beobachteten 46 Patienten nach einer Operation. Während eine Hälfte der Patienten aus ihren Fenstern auf eine Mauer blickten, sahen die anderen auf ausgeschlagene Laubbäume. Bei der Auswertung stellte sich heraus, dass diese Patienten deutlich weniger Schmerzmittel verlangten, als die Genesenden mit Mauerblick. Die Baumgucker konnten auch früher aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Apropos. Unversehens spuckt mich der Wald wieder aus: Ich stehe auf einer breiten Straße. Jetzt gucke ich doch auf die Uhr. Gerade mal dreißig Minuten habe ich flanierend kontempliert und gesunde Luft inhaliert. Übrigens völlig ausreichend, um die positiven Effekte von sowohl Grün als auch Bewegung zu schöpfen, sagen die Studien zu Shirin-yoku. Der Duft des Harzes an meinen Händen erinnert mich noch zu Hause am Schreibtisch an meine kleine Waldkur.

 

Dieser Text von Agnes Fazekas erschien in Silva 1/2015 (vergriffen).
Fotos: Thinkstock und Maridav / istockphoto.com

 

 

So geht es unserem Wald

Das WDR-Wissenschaftsmagazin Quarks hat einen sehr informativen, interaktiven Beitrag auf die Webseite gestellt.
Titel: „So geht es unserem Wald“
Unterzeile: Wird er vom Klimawandel zerstört oder ist er doch noch nicht hoffnungslos verloren?
Eine Suche in Daten.
Zum Beitrag.

 

 

Aufforstung in Schottland

Spiegel online berichtet über den Plan Wald in Schottland zu pflanzen – ohnehin hätte früher dichter Urwald die Highlands bedeckt. Zur Story geht es hier:
https://www.spiegel.de/ausland/klimaschutz-wie-schottland-nach-fast-1000-jahren-wieder-aufforstet-a-74093d85-bc08-4430-8517-cfc3f8d60d70?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

(Foto: Schottisches Hochland / © Peter Freitag / pixelio.de)

 

 

Außerdem berichtet das Online-Magazin erneut über das Aufforstungsprojekt nach Tony Rinaudo in Afrika:
Der Link zur Story:
https://www.spiegel.de/ausland/wiederaufforstung-in-afrika-der-wald-heilt-sich-selbst-a-990c47da-1c29-4530-a982-b1b49bce5fc7?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

Ausführliches dazu gibt es auch in der ersten gedruckten Ausgabe von Waldfreund.in:
#1 Aufforsten.

 

Warum die Blaubeere aus unseren Wäldern verschwindet

Nicht nur Tiere stehen auf der roten Liste gefährdeter Arten, sondern auch Pflanzen. Bedroht sind seltene Arten wie das Waldvögelein oder das Tausendgüldenkraut.
Doch selbst relativ häufig vorkommende Gewächse, die die meisten kennen (was nicht selbstverständlich ist), stehen unter Stress.
Dazu gehört die Heidelbeere.

Auf der Webseite von ARD Alpha erschien ein schöner Beitrag, warum die Heidelbeere aus unseren Wälder verschwindet.
Zum Beitrag geht es hier.

 

 

Heizen mit Holz – nicht immer so schön wie es aussieht

Das Heizen mit Holz gilt als nachhaltig. Bäume binden CO2 im Laufe ihres Lebens und geben es beim Verbrennen oder beim Verrotten des Holzes wieder ab. Dennoch ist das Heizen mit Holz, sei es mit Pellets oder Scheitholz, in die Kritik geraten.
Die Kritik entzündet sich an zwei Punkten:
Erstens ist die Nachfrage derzeit riesig. Größer als das Angebot. Die Gefahr ist daher groß, dass den Wäldern mehr Holz entnommen wird als es ökologisch verträglich ist.
Zweitens entstehen bei schlecht gewarteten und älteren Öfen Schadstoffe, vor allem Feinstaub.

Darüber gibt es eine rege Diskussion.

Lesens- bzw. hörenswert ist zum Beispiel der Beitrag „Europas Wälder im Sog der Energiewende“
von Andrea Rehmsmeier, gesendet im Deutschlandfunk am 4.09.2022.

Zum Beitrag geht es hier.

 

 

Frostschutzmittel verhindern den Kältetod

Viele haben sich schon gefragt, warum der Ficus draußen im Winter sofort erfriert, die Fichte jedoch nicht. Die bei uns als Zimmerpflanze beliebte Birkenfeige (Ficus benjamina) stammt aus den Tropen, die Fichte ist hier heimisch und wächst bis in höchste Lagen, wo es eisig kalt ist – und kommt gut damit zurecht.

Auf der Webseite von ThüringenForst gibt es eine Story, die erklärt, warum unsere Bäume winterfest sind.

Zu der Story geht es hier.

Foto von Burak Kebapci von Pexels

 

 

 

Wie der Wald verschwindet

Weltweit verschwinden ganze Wälder. Ein Beispiel von den Komoren erzählen Text von Laura Salm-Reifferscheidt (Text) und Nyani Quarmyne (Fotos) auf faz.net. (7.09.2021)

https://www.faz.net/aktuell/wissen/erde-klima/abholzung-der-nebelwaelder-auf-den-komoren-ein-bedrohtes-paradies-17513555.html

 

 

Seltene Hölzer

Eine neue Rohstoffknappheit steht bevor.

Seltene Erden sind bekannt. Bis vor ein paar Jahren wussten allerdings nur Chemie-Nerds etwas damit anzufangen. Erst seit Metalle wie Neodym oder Lanthan in wichtigen Zukunftstechnologien zur Anwendung kommen, hat sich in High-Tech-Deutschland die bange Erkenntnis verbreitet, dass wir etwas in großen Mengen brauchen, das wir nicht haben.
Seltene Hölzer gibt es ebenfalls. Das sind zum Teil einheimische Holzarten wie Elsbeere, Rüster oder Buchsbaum. Raritäten der Tropen sind Fernambukholz1 oder Adlerholz.
Neu ist, dass die einheimischen Hölzer, von denen wir derzeit scheinbar zu viel  haben, ebenfalls knapp werden könnten – Fichte, Tanne, Buche, Eiche. Das hat einen einfachen Grund: Die Nachfrage steigt tendenziell, das Angebot sinkt.
Zur steigenden Nachfrage gibt es einiges zu sagen. Der letzte Schrei unter Architekten ist das mehrstöckige Holzhaus. Als so genanntes „Fertighaus“ hat Holz im Einfamilienhausbau schon lange Konjunktur. Holzbauten haben viele Vorteile: Sie gelten als „ökologisch“, da es sich um einen von Natur aus gut wärmedämmenden, nachwachsenden Rohstoff handelt. Er soll außerdem Beton ersetzen, bei dessen Herstellung enorm viel CO2 entsteht. Folglich gibt es immer mehr Häuser aus Holz, wovon anscheinend genug da ist. Der Beitrag in einem Nachrichtenmagazin2 zu diesem Thema beginnt mit dem Satz: „Alle zwölf Sekunden wachsen in Deutschland genug Bäume für ein neues Wohnhaus nach“. Doch selbst dort, wo Beton verbaut wird, geht ohne Holz gar nichts. Es ist als Hilfsmittel unersetzlich, meist zum Verschalen.
Der nächste große Bereich, der Unmengen der Ressource Holz, bzw. Zellstoff, verbraucht, ist die Verpackung. Das liegt zum einen am Boom des Versandhandels, bei Privatverbrauchern, im Handwerk und in der Industrie. Zum anderen sollen Papier und Pappe, die immerhin teilweise recyclingfähig sind, andere Packstoffe ersetzen, vor allem Plastik und Styropor. Der Papierverbrauch in Deutschland ist weltweit einer der höchsten. Zwar lesen immer weniger Leute Zeitung, dafür schüttet uns der Handel mit Prospekten3 zu.
Ein dritter Bereich mit Riesennachfrage ist das Heizen. Öfen verschlingen tatsächlich immer mehr Holz. Zwar liegt die Zahl der Holzöfen in Deutschland4 wohl konstant bei rund elf Millionen, die Zahl der Pelletheizungen aber ist explodiert. Um das Jahr 2000 tauchten die ersten Heizungen dieser Art auf, heute gibt es in Deutschland rund 500.0005 davon. Wieder gilt Holz hier als umweltfreundlich und klimaneutral, was aber, bei Licht betrachtet, nicht immer so ist6. Dennoch fördert der Staat (Bafa, KfW) den Einbau einer Pelletheizung, wahrscheinlich weil sie meist die Alter-native zur Ölheizung ist, über deren Umweltverträglichkeit man nun wirklich nichts sagen muss. Holz als Brennstoff soll künftig sogar noch eine viel größere Rolle spielen. In der Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG 2021) ist vorgesehen, das jährliche Ausbauziel von Strom aus Biomasse von 200 auf 600 MW/Jahr zu erhöhen7.
Dagegen regt sich Widerstand. Zwei Dutzend Naturschutzverbände, die alle etwas mit Wald zu tun haben, wenden sich dagegen. Ihrer Ansicht nach ist Holz-Biomasse als Brennstoff unter anderem problematisch, weil das Verbrennen dann eben nicht „klimaneutral“ sei, wenn ausländische Hölzer zum Einsatz kommen und weil noch mehr Einschlag in deutschen Wäldern das Waldökosystem weiter schwächen würde8. Da wundert sich nun die eine oder der andere, warum Holz nun plötzlich nicht mehr klimaneutral sein soll. Es hat mit dem Faktor „Zeit“ zu tun. Angenommen, wir verwenden die guten Buchenscheite für das Heizen der Stube. Dann setzen wir in relativ kurzer Zeit durch Verbrennen das CO2 frei, das eine ausgewachsene Buche in bis zu 300 Jahren9 im Laufe ihres Lebens eingelagert hat. CO2-Aufnahme und -Abgabe halten sich in etwa die Waage, das ist dann klimaneutral, wenn das Holz dauerhaft Verwendung findet. Wird ein Holzhaus hundert Jahre genutzt, dann wachsen in dieser Zeit wieder Fichten für ein neues Holzhaus nach.
Schließlich will ich in Sachen Holznachfrage nicht unerwähnt lassen, dass ein schwedisches Unternehmen aus Möbeln, die ursprünglich sehr langlebige Güter waren, Mode- und Wegwerfartikel gemacht hat. Oft zum Schaden der borealen Nadelwälder.
Also: Immer mehr Holzhäuser, Baustellen, Verpackung, Papier, Öfen, Wegwerfmöbel – kann das Holzangebot da mithalten? Der Holzverbrauch liegt in Deutschland bei rund 140 Millionen Kubikmeter. Der Holzeinschlag variiert von Jahr zu Jahr und liegt in etwa zwischen 50 und 70 Millionen Kubikmeter. 2019 waren es 68 Millionen Kubikmeter. Einen großen Teil des Verbrauchs decken wir durch Importe10. Das Problem: Die Jahre 2018 und 2019 (2020 und 2021 vermutlich ebenso) waren für die deutsche Forstwirtschaft Ausnahmejahre. Von den 68 Millionen Kubikmetern waren 46 Millionen Kubikmeter Schadholz11. Im Wesentlichen entfielen davon fast 40 Millionen Kubikmeter auf eine Holzart, die gerade besonders unter Stress steht: die Fichte.
Die Fichte ist der sogenannte „Brotbaum“ der deutschen Forstwirtschaft, der 90 Prozent der Erträge aus dem Holzverkauf bringt12. Die Fichte ist nämlich genau der Baum, der am meisten Holz liefern kann: für das Bauen, für die Baustelle, die Zellstofffabrik und die Öfen. Die Fichte leidet derzeit vor allem unter der Trockenheit und dem Befall durch Borkenkäfer. Betroffen sind vor allem Monokulturen, die gezielt der Rohstoffversorgung dienen sollten. Diese Bäume fallen derzeit massenhaft. Unter der Trockenheit leidet der gesamte Wald, wie ein Blick auf den „Dürremonitor“ zeigt13. Demnach sind vor allem die für den Wald wichtigen tieferen Bodenschichten ungewöhnlich trocken. Die Fichte ist davon besonders betroffen, weil sie eher die Feuchtigkeit liebt. Zwei weitere Baumarten, die in Deutschlands Wäldern weit verbreitet waren, verabschieden sich gerade ganz: die Ulme und die Esche14. Der Grund hierfür ist Pilzbefall. Die beiden Arten werden vermutlich nicht ganz ausgerottet, sie bilden Resistenzen – für die Forstwirtschaft sind diese beiden Arten aber auf lange Zeit verloren.
Die Erwartungen an den Wald steigen dennoch weiter. Er soll nicht nur immer mehr Holz liefern, er soll zusätzlich dazu beitragen, die von uns verursachte Klimakrise zu lösen. Dazu müsste er aber eigentlich in Ruhe gelassen werden.
Wälder schenken uns Menschen Ruhe und Erholung, jetzt ist es an der Zeit, dass wir ihnen Ruhe und Erholung schenken. Derzeit denken Waldbesitzer und Förster fieberhaft darüber nach, was sie auf den Kahlschlagflächen, wo früher Fichten standen, pflanzen sollen. Gewiss, es gibt Baumarten, die Trockenheit besser vertragen, die Frage ist nur, ob das als Strategie taugt. Unsere Projektionen hinsichtlich Erderwärmung reichen bis 2050 maximal bis zum Jahr 210015. Der Erntezeitpunkt heute gepflanzter Bäume liegt weit danach. Bei der Fichte müssen Waldbesitzer 80 bis 120 Jahre warten, bis der Baum das sogenannte „Umtriebsalter“ erreicht. Bei den Laub-bäumen Buche und Eiche, die als Alternative gelten, dauert es sogar 120 bzw. 180 Jahre, bevor man daran denken kann, eine Motorsäge anzusetzen. Allerdings sind Eichen und Buchen prinzipiell kein Ersatz für schlanke Fichten.
Vielleicht sind es diese fünf Handlungsoptionen, die für den Wald der Zukunft taugen. Erstens: Nichts tun. Wald wächst in Deutschland von alleine. Kahlschlagflächen sollte man einfach sich selbst überlassen. Was dann von alleine kommt, wird wohl robust genug sein, die nächsten Jahrzehnte zu überdauern. Zweitens: Experimentieren. In die Kahlschlagflächen kann man ja die eine oder andere Baumart setzen, die „wärmeliebend“ ist – von der Türkischen Tanne bis zur Silberlinde16. Die Forstämter führen „Baumarteneigungskarten“. Ob es gut ist, fremde Arten gezielt einzuführen, die sonst als „invasiv“ gelten, ist eine andere Frage. Manche Leute haben noch nicht einmal mit der in unseren Wäldern häufig zu findenden Douglasie Frieden geschlossen, weil die aus Amerika stammt, die sich aber bereits seit fast 200 Jahren hier integriert hat.
Drittens: Mehr Wald pflanzen17. Anders werden wir die multiple Krise vermutlich nicht meistern können. Viertens kann man von der Seite „Deutschland und die UN-Nachhaltigkeitsagenda“, wo es heißt, wir würden auch beim Holz über unsere Verhältnisse leben, diesen Satz problemlos übernehmen: „Weniger verbrennen, den Papierverbrauch halbieren und mehr Holz wiederverwenden wären dringend geboten“18.
Schließlich fünftens: Wenn es irgend-wo in Deutschland noch eine kühle, feuchte Ecke gibt, würde ich folgendes pflanzen – Fichten, Fichten, Fichten. Mit der einen oder anderen Fichtenmonokultur sollten wir es schon noch versuchen. Nicht weil sie ökologisch besonders wertvoll wäre, sondern weil die Bäume, die darin wachsen, etwas ganz Besonderes sind. Wer weiß schon, was in 150 Jahren sein wird. Vielleicht zählen dann die hohen, schlanken Fichten, wie sie eben fast nur in den Kulturen wachsen, zu den seltenen Hölzern. (zabota.de, 8.02.2021)

 

1 Tropenhölzer: edel und hart
https://www.faszination-regenwald.de/info-center/allgemeines/tropenhoelzer/

2 Spiegel (plus) online, 29.01.2021: „Wie die Betonlobby gegen Holzhäuser kämpft“
https://www.spiegel.de/wirtschaft/holzhaus-boom-in-deutschland-ein-astreines-geschaeft-doch-die-betonfraktion-mauert-a-00000000-0002-0001-0000-000175089064

3 siehe auch „910 Gramm Prospekte“, zabota.de
4 topagrar.com, 4.03.2019: „Heizen mit Holz“
https://www.topagrar.com/energie/news/zahl-der-holzoefen-in-deutschland-seit-jahrzehnten-konstant-10369957.html

5 Statista, 7.05.2020: Pelletheizungen in Deutschland
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/171886/umfrage/anzahl-der-pelletheizungen-in-deutschland/

6 br.de, 6.11.2019: „Schlechte Klima-Bilanz für Holzpellets“
https://www.br.de/nachrichten/wissen/schlechte-klima-bilanz-fuer-holzpellets,Rh2umI1

7 Haupstadtbüro Bioenergie, 17.12.2020: Informa-tionspapier – Wichtigste Neuregelungen zur Biomasse im EEG 2021
https://www.hauptstadtbuero-bioenergie.de/aktuelles/positionspapiere/wichtigste-neuregelungen-zur-biomasse-im-erneuerbare-energien-gesetz-eeg-2021

8 Plattform Wald Klima
https://plattform-wald-klima.de/

PDF: Gemeinsame Stellungnahme „Kein Raubbau im Wald für eine falsche Energiewende (24.11.2010)https://plattform-wald-klima.de/material/

9 Wald-Prinz, 5.06.2013: Umtriebszeit – wie lange ein Baum zur Hiebsreife benötigt
http://www.wald-prinz.de/umtriebszeit-wie-lange-benotigt-ein-baum-bis-zur-hiebsreife/3697

10 Umweltbundesamt: „Holzeinschlag in Deutschland“
https://www.umweltbundesamt.de/bild/holzeinschlag-in-deutschland

Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW), FAQhttps://www.sdw.de/waldwissen/wald-faq/index.html

Deutschland und die UN-Nachhaltigkeitsagenda: Holzverbrauch – weniger wäre nachhaltiger
https://www.2030report.de/de/bericht/317/kapitel/ii181-holzverbrauch-weniger-waere-nachhaltiger

Statistisches Bundesamt – Holzeinschlag 2019: 68 Millionen Kubikmeter
https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Wald-Holz/aktuell-holzeinschlag.html

11 Statistisches Bundesamt – Wald und Holz – Durch Schäden verursachter Holzeinschlag nach Einschlags-ursache, Waldeigentumsarten
https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Wald-Holz/Tabellen/holzeinschlag-ursachen.html

12 Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, 13.10.2016: „Fichte – Brotbaum der Forstwirtschaft“
https://www.sdw.de/cms/upload/BIldarchiv/13_10_2016_Fichte_Baum_des_Jahres.pdf

13 Dürremonitor Deutschland
https://www.ufz.de/index.php?de=37937
siehe auch „Ein Lob des Landregens“; zabota.de

14 siehe auch „Ende der Esche“, zabota.de

15 Es gibt das „Zwei-Grad-Ziel“ (Link zu Wikipedia), das besagt, die Erderwärmung bis zum Jahr 2100 soll nicht mehr als 2° Celsius betragen und es gibt eine Initiative namens „Under2MOU“ (Link zum Umweltministerium Baden-Württemberg), die das realisieren will und bei der der Staat Kalifornien und das Land Baden-Württemberg eine führende Rolle spielen.

16 ForstBW: Klimastarke Wälder für die Zukunft
https://www.forstbw.de/schuetzen-bewahren/klimawandel/klimastarke-waelder-fuer-die-zukunft/

Alternative Baumarten im Klimawandel: Artensteckbriefe
https://www.fva-bw.de/fileadmin/publikationen/sonstiges/180201steckbrief.pdf

17 National Geographic, 5.07.2019: Züricher Studie – Bäumepflanzen ist der beste Klimaschutz
https://www.nationalgeographic.de/umwelt/2019/07/zuericher-studie-baeumepflanzen-ist-der-beste-klimaschutz

18 Am Ende stellt sich die Frage, wie wir überhaupt noch heizen können, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Öl und Gas gehen gar nicht mehr – aber: Auf Holz sollen wir ja nicht verzichten, sondern nur sparsamer damit umgehen. Vermutlich bleibt die Wärmepumpe und ergänzend der Kaminofen für wirklich ökologisch korrektes Heizen. Jedenfalls aus heutiger Sicht.

Hoffnung für die Esche

Trotz des von einem Pilz verursachten Eschentriebsterbens und des gefräßigen Eschenprachtkäfers: Es gibt Hoffnung für die Esche!
Die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Landschaft und Schnee (WSL) hat dazu zwei Beiträge ins Netz gestellt:
Hat die Esche eine Zukunft? (24.11.2021)
https://www.wsl.ch/de/newsseiten/2021/11/hat-die-esche-eine-zukunft.html
Ist die Esche noch zu retten? (15.11.2019)
https://www.wsl.ch/de/newsseiten/2019/11/waldschutz-aktuell-ist-die-esche-noch-zu-retten.html

 

Ende der Esche

Die Esche ist, bzw. war ein prächtiger Baum.
Durch einen winzigen Pilz droht ihm das Ende, wodurch
ein riesiger ökologischer und wirtschaftlicher Schaden
entsteht. Nichts bräuchte man jetzt dringender als Ruhezonen,
in denen sich Natur ungestört entwickeln kann.

Gab es Esche, erkannte ich es schon am Geruch. Sie ist mein Lieblingsbaum. Das Holz, das sie uns gibt, ist vom Feinsten. Nicht nur für mich, es ist eines der begehrtesten und wertvollsten Hölzer überhaupt. Es ist wie geschaffen für Stiele aller Art, Äxte, Werkzeug, Ruder, früher auch Deichseln und Skier. Und natürlich Möbel. Das Holz hat an sich eine kräftige, charakteristische Maserung. Manche Bäume haben jedoch einen dunklen Kern. Dieses Holz hat eine dunkle Maserung, auch als Oliv-Esche bezeichnet und ist noch wertvoller.

Esche gab es oft. Das Furnierwerk Stöcker in Herrenberg, wo der Autor eine kaufmännische Lehre absolvierte, hatte sich auf Esche spezialisiert. Die dicken, astfreien Stämme kamen zunächst für ein paar Tage in ein heißes Wasserbad. „Gedämpft“ sagt der Fachmann. Dann kam die Rinde weg und der ganze Stamm auf eine der großen Maschine mit bis zu fünf Meter langen Messern. Diese schnitten dann exakt 0,68 Millimeter starke Blätter ab. „Gemessert“ sagt der Fachmann. Es folgte das Trocknen und während des ganzen Vorgangs waberte dieser besondere, starke Duft des warmen Eschenholzes durch die Fabrikhalle.

Das alles ist vorbei. Das Furnierwerk Stöcker gibt es schon lange nicht mehr. Und die Esche ist auch bald weg.

Die letzten Exemplare fallen gerade der Motorsäge zum Opfer. Allerdings ist es genau genommen nicht die Motorsäge, sondern das Falsche Weiße Stängelbecherchen. Ein kleiner Pilz. Er gilt als neu entdeckt und trägt den wissenschaftlichen Namen Hymenoscyphus pseudoalbidus1. Es handelt sich vermutlich um eine eingeschleppte Art, gegen die die Europäische Esche (Fraxinus excelsior) besonders empfindlich ist. Das weiße Pilzchen befällt die Triebe, die daraufhin absterben. Schnell folgt der ganze Baum. Die geschwächten Bäume drohen umzustürzen, daher entscheiden die meisten Forstämter, dass vorher die Motorsäge zum Einsatz kommt.

Am Rhein sind von der Esche dominierte urwaldähnliche Auwaldbestände fast verschwunden. Neunzig Prozent aller Bestände sind bereits tot. Das ist ein trostloser Anblick und für die Forstwirtschaft ist das auch deswegen trostlos, weil der Baum als „Hoffnungsbaum“ in Sachen Klimawandel gilt. Er ist tolerant gegen Wärme, Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit. Nicht jedoch gegen Falsche Weiße Stängelbecherchen.

Es wäre jetzt an der Zeit, größere Bestände sich selbst zu überlassen. Dann zeigt sich, ob einzelne Bäume Resistenzen entwickeln.

Die Schwierigkeit ist, dass man hierzulande Schwierigkeiten hat, Natur sich selbst zu überlassen. Einer gewissen Aufgeräumtheit wird stets der Vorzug gegeben, auch im Wald, hin und wieder taucht sogar die Meinung auf, Natur könne ohne den Menschen gar nicht existieren.

Sie kann. Wenn sie darf. Das ist einer der Grundgedanken eines Nationalparks. Die Definition von Nationalpark lautet „Ein Nationalpark ist ein ausgedehntes Schutzgebiet, das meistens nur der natürlichen Entwicklung unterliegt und durch spezielle Maßnahmen vor nicht gewollten menschlichen Eingriffen und vor Umweltverschmutzung geschützt wird.2

Solche Flächen könnte gerade Baden-Württemberg gut gebrauchen, wie jetzt wieder am großen Verlust der Eschenbestände zu sehen ist.

Doch gerade in Baden-Württemberg sind die Schwierigkeiten, ein Schutzgebiet auszuweisen, besonders groß.

Es war ein harter Kampf, bis es gelang, den Nationalpark Schwarzwald zu etablieren. Die Emotionen sind dermaßen hochgekocht, dass ein Stoff für Krimis3 daraus geworden ist. Und dabei ist dieser Nationalpark mit seinen 10.062 Hektar noch nicht einmal besonders groß. Zum Vergleich: Der Nationalpark Bayerischer Wald ist allein auf deutscher Seite mehr als doppelt, Yellowstone in den USA hundert Mal so groß. Der Nationalpark Schwarzwald umfasst zudem nur 0,28 Prozent der Landesfläche und besteht nicht einmal aus einer zusammenhängenden Fläche, sondern aus zwei Teilen. Es handelt sich um eine Fläche, die in Baden-Württemberg beim derzeitigen Landschaftsverbrauch von 10 Hektar pro Tag4 in knapp drei Jahren zubetoniert ist. Wobei ja nicht einmal Interesse bestünde, die Böden des Nationalparks Schwarzwald zuzubetonieren, weil sie infrastruktur- und landwirtschaftsmäßig eigentlich wertlos sind (dass hier nur Wald und nichts anderes wächst, ist natürlich auch ein Wert an sich). Beim Zubetonieren konzentrieren wir uns gerade auf die guten Böden.

Spätestens seit dem Eschensterben müssten wir wissen, was dabei auf dem Spiel steht und was auf dem Spiel steht, wenn sich Natur nicht entwickeln kann. Ein wirtschaftlicher Schaden von vielen Milliarden Euro und vielleicht der Verlust eines einzigartigen Baumes.

Es ist die natürliche Entwicklung, auf die es ankommt. Was immer sich entwickelt – es kommt letztlich auch dem Menschen zugute. Auch die Esche. (zabota.de, 21.03.2016)

 

1 waldwissen.net
http://www.waldwissen.net/waldwirtschaft/schaden/pilze_nematoden/bfw_eschentriebsterben_Mai2010/index_DE

2 https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalpark

3 Bernd Leix, Mordschwarzwald

4 http://www4.um.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/2036/